Access to Justice
31.05.2019

Access to JusticeFeedback für mint:pro Idee „Legal IT“ an der Bucerius Law School

Fahrzeuge ohne Fahrer? Klar, das geht, im Silicon Valley rollen sie bekanntermaßen schon. Kassen ohne Kassierer? So gut wie Alltag! Jura ohne Juristen? Definitiv schwierig! Auch wenn Maria, Laura und Caro in ihrer ersten Euphorie gleich den Anwalt ersetzen wollten, soll es bei ihrer Strafrecht-App „Legal IT“ nun eine Stufe kleiner gehen: „Wir wollen Anwälte darin unterstützen, ihre Zeit effizient zu nutzen und Langweile zu vermeiden“, sagt Maria. Die Elftklässlerin des Gymnasiums Lohbrügge steht in einem Hörsaal der Bucerius Law School. Neben ihr die Sankt-Ansgar Schülerinnen Laura und Caro, die ein Plakat mit aufgeklebten Screenshots hochhalten. Vor ihr feinsäuberliche Reihen orangerot gepolsterter Klappstühle, darauf ein Zuhörer: Es ist Dirk Hartung, Executive Director Legal Technology der Hochschule, die nach US-amerikanischen Vorbildern gegründet wurde und daher auch internationale Titel vorhält.

Von Algorithmen verurteilt

Dass „Legal Tech“ für Software und Online-Dienste steht, die juristische Arbeitsprozesse unterstützen oder gänzlich automatisieren, muss Hartung nicht mehr erklären. Die drei Schülerinnen vor ihm sind schließlich Teilnehmerinnen des neuen NAT Begabtenprogramms mint:pro „Start-up und KI“ und haben sich Gedanken gemacht, wie man juristisches Wissen allgemein zugänglicher machen kann. Für ihre Ideen will sich Hartung 90 Minuten Zeit nehmen: „Ich bin Dirk, wir können uns duzen, das ist bei Legal Tech so üblich, und mich interessieren eure Überlegungen“, stellt er sich vor. Ein guter Einstieg, denn noch ist es rein analoger, erster Prototyp, den die Schülerinnen mitgebracht haben und von dem sie nicht wissen, ob sie ihn ausbauen sollten.   

Die weiche Welt der harten Rechtsprechung

Feedback ist daher gefragt. Zunächst einmal technisch: Hartung gibt Anregungen zum Design (Suchmaske vor die Definitionen stellen), zur Zielgruppe (wenn Anwälte, dann als Recherchetool ausbauen), zum User Interface (besser Webseite oder mobiler Chatbot, nicht beides zusammen). Dann juristisch – und da wird es kompliziert, betont der Wissenschaftler: „Ein Strafrichter guckt sich eine Menge verschiedene Faktoren an, kommt zu einer nur schwer messbaren Einschätzung und baut darauf sein Urteil auf: Das ist viel unschärfer, als man denkt.“ Mit anderen Worten, man bräuchte ein paar Millionen Gerichtsurteile, allein für ein kleines Delikt wie Schwarzfahren oder Beleidigung, um die Software zu trainieren. Aber sind die überhaupt verfügbar?

Digitalisierung 0.1: Justiz noch ganz am Anfang

Generell schon, außer die über Jugendliche, meint Caro. „Also zu 60 Prozent, Jugendliche begehen mehr Straftaten als Erwachsene.“ Ihre Mitschülerinnen lachen, aber die Zahl ist viel zu hoch, sagt Hartung. „Es sind in Deutschland ungefähr 0,9 Prozent, weil die Gerichte nur interessante Urteile veröffentlichen – und der 125.000 Ladendiebstahl zählt nicht dazu.“ Zwar könne man jedes einzelne bekommen, aber vorher müsste es anonymisiert werden – und genau an so einem KI-Anonymisierungsverfahren arbeite Legal Tech. „Ihr habt das Schwierigste ausgewählt“, wendet sich Hartung abschließend an die Schülerinnen. „Menschen haben furchtbar Angst davor: Sie lassen sich häufig lieber unfair vom Menschen behandeln als fair vom Computer.“ Vor allem, wenn sie schuldig seien. Dennoch werde der Bereich an Bedeutung gewinnen – und verändere schon heute die Ausbildung. „Jura wird quantitativer, interdisziplinärer und diverser!“ Zudem legt die Disziplin das steife, förmliche Bild ab, so wie den dunklen Anzug, wenn sie sich gegenüber der IT öffnet.

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