Ein bisschen was von Zoo hat es an sich, wenn 20 Schüler verteilt auf drei Gruppentische eng beisammen in einem Klassenraum sitzen und fünf Lehrer um sie herum stehen. Auf den Tischen liegen putzige Stofftiere, klein, flauschig, rund bis sternenförmig. Ein winziges Etikett verrät, ob es sich um ein Gluon, Muon, Up-Quark oder Down-Quark handelt. Willkommen im Teilchenzoo des Matthias-Claudius-Gymnasiums (MCG). Wobei die Stofftiersammlung nichts weiter als ein Medium ist: Sie dient dazu, aus den Teilnehmern, die nicht nur aus verschiedenen Schulen, sondern auch aus unterschiedlichen Klassenstufen kommen, so etwas wie eine gemeinsame Welt zu schaffen – eine Teilchenwelt.
Wie kommt das Neue in die Schule
Die Gruppeneinteilung über die Stofftiere bildet den Auftakt eines Schülerkurses „Teilchenphysik“, der nunmehr zum vierten Mal in Hamburg an den Start gegangen ist. Dabei ist die Zusammenarbeit der Schulen Sankt-Ansgar und Emil-Krause sowie Grootmoor, MCG und Süderelbe alles andere als ein Standardmodell, denn es gab einen ganz besonderen Anlass, der die Lehrer über Schul- und Elbgrenzen hinweg zusammengebracht hat: Vor vier Jahren lernten sie im Rahmen einer gemeinsamen Lehrerfortbildung am CERN, wie man mit einer einfachen Nebelkammer Teilchenspuren nachweisen und beobachten kann. Ein Funke, der übersprang: „Das machen wir auch mit unseren Schülern“, sagten die Physiklehrer, darunter Martin Biebl (Sankt-Ansgar-Schule) und Andreas Spangenberg (MCG), die von Anfang an dabei waren.
Von der Nebelkammer ins Lehrerzimmer
Andere Lehrer sind inzwischen hinzugekommen und haben sich nahtlos in die Kursorganisation über drei ganze Schultage hinweg eingefügt. Jetzt ist das Thema an allen beteiligten Schulen fest verankert, auch im Unterricht, und beflügelt nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer: „Ich hatte mich vorher mit der Teilchenphysik nie wirklich beschäftigt und in der Uni hatte ich es gar nicht“, so Sascha Ackenhausen, Gymnasium Süderelbe. Aber der Bau der Nebelkammern und die Beobachtung von Teilchenspuren haben den gelernten Meteorologen so beeindruckt, dass er das auch in der zehnten Klasse umgesetzt und darüber seine Examensarbeit geschrieben hat. „Ich habe sehr, sehr positive Erfahrungen gemacht; auch Schüler, die sonst überhaupt nicht an Physik interessiert sind, fanden die Einheit super.“
Ehre und Chance zugleich
Das ist das Besondere an der Teilchenphysik: Sie fasziniert keineswegs nur Physikinteressierte und hat doch gleichzeitig das Zeug zum Beschleuniger – von Talenten und Potenzialen gerade im Fach Physik. „Für mich ist das wirklich eine Begabtenförderung“, sagt Christian Rammé, Emil-Krause Gymnasiale Oberstufe. Die Stadtteilschüler, die an seiner Schule das Abitur machen wollten, brächten oft nur begrenzte Physikkenntnisse mit, weil das Fach vorher nicht systematisch unterrichtet werde. Für alle anderen aber sei der Kurs ebenso eine Chance, wie für die Schule selbst: „Ich kann interessierten Schülern mit gutem Vorwissen etwas anbieten, was sie wirklich fordert und fördert.“ Da es nur vier Plätze gibt, aber mehr Interessenten, sammelt Rammé Bewerbungsschreiben ein: „Warum ich am Schülerkurs Teilchenphysik teilnehmen will.“
Das Zünglein an der Waage
Die Begrenzung auf vier Teilnehmer pro Schule hängt mit der Zahl der Arbeitsplätze am DESY, aber auch mit dem Selbstverständnis zusammen: „Der Kurs ist etwas Besonderes. Für die Schüler ist es eine Ehre, dabei zu sein“, sagt Andreas Spangenberg. „Sie müssen schon gut aufnahmefähig, flexibel und schnell im Denken sein“, ergänzt Martin Biebl. Der Kurs ist daher geeignet sowohl für leistungsbereite und zugleich begabte Schüler. Und er ist zudem ein Katalysator für die Physik: „Das ist auch gleichzeitig Werbung fürs Physikprofil“, sagt Christian Rammé. Marc Hoge, Gymnasium Grootmoor, fällt dazu das Beispiel einer vielseitig begabten Schülerin ein, die jedes Profil hätte anwählen können und sich nach dem Schülerkurs für das Physikprofil entschieden hat: „Vielleicht kann die Teilchenphysik das Zünglein an der Waage sein.“
Physiklehrer auf der Pirsch
„Begabungen identifizieren und fördern, Lehrer und Schüler schulübergreifend in Austausch bringen, neue Strukturen etablieren: der Schülerkurs Teilchenphysik zeigt auf jeden Fall Wirkung“, freut sich Sabine Fernau, NAT-Geschäftsführerin und Mitinitiatorin des Projektes. Damit das so bleibt, fließen Gelder, die NAT über das Haspa-Lotteriesparen erworben hat, in neue Nebelkammern. So gibt es im vierten Jahr des Schülerkurses nach dem Teilchenzoo, der Masterclass und dem DESY-Besuch auch noch einen vierten Termin: Bau und Gestaltung von Nebelkammern für den nachfolgenden Schülerkurs!