Operateurin am offenen Herzen
04.07.2023

Operateurin am offenen HerzenInterview mit Kirsten Fust technische Geschäftsführerin der Hamburger Energiewerke

„Hamburgs Energie-Retterin“, so titelte im Januar die Frankfurter Allgemeine Zeitung über Kirsten Fust, weil die technische Geschäftsführerin der Hamburger Energiewerke die Umwandlung von Kohlekraftwerken in CO2-freie Alternativen verantwortet. Was sie selbst dabei antreibt und wie sie es von der Auszubildenden im Elektrohandwerk zur Geschäftsführerin von Hamburgs größtem Energieunternehmen geschafft hat, erzählt sie im Interview mit der Initiative NAT. Ein Begriff fällt dabei mehrmals und damit auf: neugierig sein! Es ist die wohl wichtigste Eigenschaft der 58-Jährigen: Weil sie begierig auf neue Aufgaben, Dazulernen und den Austausch mit jungen Leuten ist, bleibt die Elektroingenieurin nie auf der Stelle stehen. Aktuell dürften schon die inhaltlichen Herausforderungen dafür sorgen, dass Hamburgs Energie-Retterin nicht langweilig werden wird.

NAT: Frau Fust, was wollten Sie mit 15 werden?    

Kirsten Fust: Ich wollte Goldschmiedin werden oder Polizistin. Ich habe dann auch ein Praktikum gemacht in einer Goldschmiede und mich bei der Polizei beworben und die Prüfung bestanden, aber beides war mit viel Schulbankdrücken verbunden – und davon hatte ich nach dem Abi erst einmal genug. Ich habe mich dann für eine Lehre zum Elektroinstallateur entschieden. Ich hatte immer schon eine handwerkliche Begabung,  mein Vater war Elektriker und ich habe bei ihm mitgeholfen. Es hat mir gefallen, dass es so eine breite Palette an Aufgaben war – von der Reparatur des Bügeleisens bis zur Industrie und dem Neubau. Mit ein bisschen Grips Schaltungen verdrahten, wie ein Detektiv herausfinden, warum etwas nicht funktioniert, eigenständig Aufträge abarbeiten, das hat mir einfach Spaß gemacht.  

NAT: Aber dann haben Sie doch noch die Fachhochschulbank gedrückt. Wie kam das?  

Fust: Mein Meister hat mich darin bestärkt und ich wollte mehr verstehen: Blut geleckt, auch was den Ehrgeiz betrifft, habe ich tatsächlich erst in der Lehre. Mein Abi dagegen mit den Leistungskursen Kunst und Biologie war nicht so begeisternd. Ich habe mich dann für die Fachhochschule Kiel entschieden, auch weil die keinen Numerus clausus hatte, und für Nachrichtentechnik, weil ich Schaltungen, Frequenzen und Regeltechnik liebte. Das ist wie das Sudoku der Elektrotechnik. Man bekommt eine Aufgabe und muss sich überlegen, wie man sie elektrotechnisch löst: Wie viel Energie braucht man, wie muss man das verschalten, was will der Kunde? Das war nicht mehr die handfeste Technik, zwei Kabel verbinden und sich durchs Mauerwerk bohren, sondern Netzwerktechnik – und da hatte ich Lust drauf.  

NAT: Wie hat Ihnen das Studium gefallen?  

Fust: Ich war eine von vier Frauen, 170 Männer – und ich habe da meinen Mann kennengelernt (lacht). Ich hatte eine tolle Studentenzeit, war zum ersten Mal von zu Hause weg, ich war eigenständig. Aber die ersten zwei Semester waren auch eine harte Schule, weil ich Mathe ganz früh abgewählt hatte und die Höhere Mathematik, aber auch die Grundlagen der Physik nachholen musste. Gegenüber den Kommilitonen, die direkt von der Schule kamen und nicht so genau wussten, was sie machen sollten, war ich aber auch im Vorteil: Frei zu sprechen, mit Kritik und einem gröberen Ton umzugehen, sich gegenüber Männern durchzusetzen – das hatte ich schon gelernt.

NAT: Was wollten Sie nach dem Studium machen? 

Fust: Direkt in die Wirtschaft gehen, nicht noch einen Traineeposten übernehmen, sondern Verantwortung. Keine Laufbahn einschlagen, die vorherbestimmt war, etwa bei der Post, sondern selbst wählen. Damals suchten die Hamburger Gaswerke, das war noch Hein-Gas, einen Elektroingenieur, um die Hochdruckleitungen aus Stahl vor Rost kathodisch mit Strom zu schützen. Da habe ich angefangen und auch schon ein kleines Team geleitet. Als der alte Schweißer in Ruhestand gegangen ist, habe ich den Bereich übernommen –  und mich dann immer weiter wie eine Spinne ausgebreitet, zunächst noch, ohne es zu wollen. Einfach, weil ich neugierig war. Das hat die Aufmerksamkeit meines Chefs geweckt, der mir noch mehr zugetraut und mir vorgeschlagen hat, erst das Lager, dann das Störungsgeschäft zu übernehmen. Am Ende hatte ich den ganzen Bereich Hein-Gas Technik unter mir, 600 Leute.

NAT: Im letzten Jahr haben Sie noch mal neu angefangen. Was hat Sie daran gereizt?

Fust: Die tollen Projekte: einen Aquiferspeicher bauen, also einen Wärmespeicher im Erdboden, wo man das Wasser im Sommer einlagert und es im Winter wieder warm entnimmt. Ein Tunnel unter der Elbe für die Abwärme vom Kupferwerk Aurubis oder die Abwasserwärmepumpe, die dem Dreckwasser Wärme für Wohnungen entzieht. Das ist cool! Ich führe jetzt diese beiden Kraftwerke Tiefstack und Wedel raus aus der Kohle, rein in eine neue Technologie, die über die ganze Stadt verteilt ist und die wir Stück für Stück in Betrieb nehmen. Praktisch am offenen Herzen, das ist sehr spannend. Es ist ein Umbruch von fossiler auf erneuerbare Energie und es wird unser Leben massiv beeinflussen: Wie werden Energie viel mehr wertschätzen und bewusster wahrnehmen. 

NAT: Bei all diesen großen Aufgaben: Haben Sie so etwas wie einen Alltag?

Fust: Doch, ich habe einen Büroalltag, aber ich reserviere mir auch eine Zeit, in der ich rauskomme und mit den Leuten draußen spreche. Dann habe ich einfach Jeans, Pullover und Neonjacke an und husche auf der Baustelle rum: Ich möchte am Menschen bleiben, das ist unglaublich wichtig. Im Moment sind wir viel politisch unterwegs, weil wir neue Technologien entwickeln und dafür Flächen und Förderungen benötigen. Da müssen wir bei der Stadt gut Wetter machen. Und dann die Personalführung: Wir sind ja fusioniert aus „Hamburg Energie“, das eher ein Start-up war, und „Hamburg Wärme“, eher ein traditionsverbundenes Unternehmen. Das ist ein großer Schritt, wir müssen Fachbereiche zusammenführen und die Mitarbeiter auf ein neues Unternehmen einschwören. 

NAT: Wenn Sie die Mädchen auf die Zukunft einschwören sollten, was sagen Sie? 

Fust: Hört auf euren Bauch und wenn ihr euch für Technik interessiert, erstreitet sie euch. Ihr könnt alles schaffen, das ist tatsächlich so, wenn ich überlege, was ich in meinem Leben erreicht habe (lacht). Mädchen fangen ja tatsächlich früher an, ein bisschen vernünftiger zu sein und über den Tellerrand zu gucken. Jungs brauchen dafür länger, die wissen erst mit 19, 20, was sie wollen. Das sollten wir nutzen, wir haben ja einen unglaublichen Mangel an guten Fachkräften. Das heißt, neugierig bleiben, ein wenig ehrgeizig sein und fachlich qualifiziert sein. Am liebsten sind mir tatsächlich die Leute, die erst eine Ausbildung gemacht haben und dann ins Studium gegangen sind. 

Aktuelles