Nichts hält mich aufInterview mit Dr.-Ing. Sarah Löhn, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität in Hamburg
Schüchtern, unkonzentriert, mäßige Noten – niemand hätte der Abiturientin Sarah Löhn eine Karriere als Wissenschaftlerin vorhergesagt. Mit 34 ist sie promovierte Ingenieurin und leitet ein Forschungsprojekt zur „Blauen Biotechnologie“. Es untersucht, wie bioaktive Stoffe in Aquakulturen eingesetzt werden können, um damit den Einsatz von Antibiotika und Impfungen zu reduzieren. In ihrer Doktorarbeit hat sie ganz praktisch geforscht und die Produktion von Mikroalgen digitalisiert. Damit hat Sarah Löhn ihr Ziel, in der Forschung zu landen, schon mal realisiert. Jetzt bleibt noch ihr zweites Ziel: In der Industrie als Projektleiterin arbeiten. Ihr drittes ist übergeordnet: Irgendetwas besser machen auf dieser Erde.
NAT: Was wollten Sie mit 15 Jahren werden?
Sarah Löhn: Ganz früher wollte ich mal Innenarchitektin werden, aber in der Mittelstufe habe ich nicht mal geglaubt, dass ich das Abi schaffen würde. Dabei habe ich ignoriert, dass ich in den Naturwissenschaften recht gut war, zumindest schriftlich. Insgesamt habe ich aber in der Schule nicht gerade mit Aufmerksamkeit geglänzt. Zudem war ich super schüchtern, ich hätte mich gar nicht getraut, vor der Klasse einen Vortrag zu halten. Was mich dann doch bestärkt hat, war der Zuspruch, den ich oft von Außenstehenden bekommen habe. So habe ich nach dem Abi zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Seemannsmission gemacht. Schon im Vorstellungsgespräch hat mir die Chefin Mut zugesprochen: ‚Sarah, bleib wie du bist! So kannst du alles erreichen, was du möchtest!‘ Das ist jetzt Jahre her, aber das habe ich immer noch im Ohr.
NAT: Sie sind dann anschließend in die Seefahrt eingestiegen?
Löhn: Schifffahrtskauffrau habe ich nach dem FSJ gelernt, weil mir der Austausch mit den Kapitänen und Seeleuten so gut gefallen hatte und mich die Technik an Bord (immer noch) sehr fasziniert. Letztlich war die Ausbildung aber doch sehr kaufmännisch und in der Berufsschule fühlte ich mich unterfordert. Mir war schnell klar, dass ich anschließend etwas anderes machen wollte, am liebsten Biologie studieren. Aber ein Onkel, ein Biologe, hat mir davon abgeraten, er meinte, die Zukunft sei ganz klar technisch ausgerichtet und hat mir Biotechnologie vorgeschlagen. Ich habe mich dann für die Bioverfahrenstechnik an der TUHH entschieden, weil der Titel Ingenieur immer noch etwas Besonderes ist. Letztlich war aber die Beschreibung des Studiengangs anders als die Realität: Am Anfang ging es überhaupt nicht um Biologie, sondern um Mathe, Physik und Chemie. Da lag die Schulzeit bei mir schon drei Jahre zurück und vor allem in Mathe hatte ich ein riesiges Defizit.
NAT: Sie haben das Studium aber durchgezogen. Wie war das?
Löhn: Mathe I musste ich dreimal schreiben – mehr Versuche hat man nicht. Aber danach hat mich nichts mehr aufgehalten, es wurde dann immer spezifischer und besser. Vor allem ein Laborpraktikum im fünften Semester hat mich unglaublich beeindruckt. Alles, was ich vorher in der Theorie gelernt hatte, kam in der Praxis zur Anwendung. Das hat mir gezeigt, dass es nicht darum geht, biologisches Wissen auswendig zu lernen, sondern zu lernen, daraus etwas zu machen. Mein Studiengang ist die Schnittstelle zwischen Biotechnologie und Verfahrenstechnik: Man arbeitet mit lebenden Organismen, Mikroalgen oder Bakterien, und plant technische Anlagen, um damit beispielsweise Medikamente umweltfreundlich herzustellen.
NAT: Das war der Funke, der übergesprungen ist und Sie bis zur Promotion geführt hat?
Löhn: Promoviert habe ich, nachdem ich mich nach dem Masterabschluss als Projektmanagerin bei einer Müllverbrennungsanlage beworben habe, aber eine Absage bekommen habe, während ein Kommilitone von mir die Stelle hätte antreten können. Mir wurde stattdessen eine Stelle in der Administration angeboten. Ich wusste von Anfang an, dass ich das nicht machen wollte, aber bin da dennoch hingefahren. Jedes Bewerbungsgespräch ist schließlich ein Training. Im Gespräch wurde deutlich, dass sie nicht so Lust auf Frauen im Projektmanagement haben. Zusätzlich wurde ich während des Gesprächs gefragt, wo ich mich in fünf Jahren sehe, was ich ganz klar beantworten konnte: Entweder bin ich Projektmanagerin oder promoviert in der Forschung. Im Oktober 2018 habe ich meine Promotionsstelle im Institut angetreten – vor knapp fünf Jahren.
NAT: Die Promotion haben Sie inzwischen abgeschlossen. Was machen Sie jetzt?
Löhn: Ich koordiniere ein Forschungsprojekt mit Norwegen und Dänemark, das mit Mikroalgen ein nachhaltiges Gesundheitsmanagement für Aquakulturen entwickelt. Das läuft noch, daher bin ich hier noch tätig. Das Verbundprojekt hat meine Promotion mitfinanziert, die aber ein komplett anderes Thema betraf: Es ging um die Verbesserung der Kultivierung von Mikroalgen und auch die Automatisierung. Das war viel Arbeit und ich habe meinen Urlaub und reichlich Freizeit aufgewendet, um Projektleitung und Promotion zu vereinbaren. Jetzt möchte ich mir eine Auszeit nehmen, mich ehrenamtlich in sozialen und ökologischen Projekten engagieren und nach Lateinamerika reisen. Beruflich würde ich gern in Richtung Industrie gehen. Die Themen Wasserversorgung oder Plastikrecycling interessieren mich, ich lerne gern dazu.
NAT: Wenn Sie jetzt noch einmal auf Ihre Studienzeit zurückblicken…
Löhn: Im Nachhinein kann ich mir keinen anderen Studiengang vorstellen, der besser zu mir gepasst hätte. Es ist ein guter Mix aus praktischer Arbeit, Naturwissenschaften und Ideenfindung. Manchmal muss man einfach um die Ecke denken. Dabei haben mir auch unterschiedliche Jobs und Praktika geholfen, das schafft Synergien. So habe ich bei einem Praktikum in der Holsten Brauerei Lebensmittelverfahrenstechnik kennengelernt – und nebenbei die Nutzung des Teetasseneffektes bei Trennverfahren. Beim Umrühren in der Teetasse sammeln sich die Blätter in der Mitte, weil sich zwei Strömungen überlagern. Das habe ich bei meiner Promotion angewendet, um die Algen besser ernten zu können. Das ist, was man über die vielen Jahre lernt: Sich selbst Dinge anzueignen und sie zu verknüpfen.
NAT: Danke und nur noch kurz zum Abschluss: Wie lautet Ihre Botschaft an die Mädchen?
Löhn: Habt keine Angst vor Umwegen, probiert alles aus. Ich habe in den Gesprächen beim Speed-Dating eine große Verunsicherung gespürt, sich nach der Schule für einen Beruf zu entscheiden, der dann für den Rest des Lebens meine Wahl sein muss. Ich bin ein gutes Beispiel dafür, dass dem nicht so ist. Jede Erfahrung ist wertvoll und lässt dich wachsen.