Spaghetti KI-basiert an die Wand werfenInterview mit Farina Ohm Chemieinformatikerin und Data Scientist bei Evotec
Das Bild von der Pasta an der Wand hat Farina Ohm selbst bei ihrem Vortrag auf der Alumnaekonferenz unsere:zukunft im Juni in der Factory Hammerbrooklyn geprägt. Die Chemieinformatikerin wollte damit veranschaulichen, was ein „Hochdurchsatzscreening“ ist, bei dem eine große Zahl kleiner Moleküle auf ihre Bindungseigenschaften an Proteine überprüft werden, und ihren Arbeitgeber, den Wissenschaftskonzern Evotec, ausmacht. Die Wand in dem Al dente-Bild symbolisiert dabei das Protein, jede Nudelsorte unterschiedliche Moleküle, der Wurf die Suche nach einem neuen Medikament, bei der mittels KI vorhergesagt werden kann, welche Nudel an der Wand kleben bleibt – und welche nicht. Seit fünf Jahren beschäftigt sich Ohm mit den Daten aus dem Labor. Inzwischen arbeitet die 31jährige daran, den zeitaufwändigen Prozess mit Künstlicher Intelligenz zu optimieren. Im Gespräch mit der NAT wird schnell klar, warum sich die Mischung aus Informatik und Chemie wunderbar ergänzt.
NAT: Frau Ohm, was wollten Sie mit 15 werden?
Farina Ohm: Ich wollte Inneneinrichtungen machen, ich habe immer schon gern mein Zimmer umgestaltet und Kunst war damals mein Lieblingsfach. Aber Mathematik und die Naturwissenschaften lagen mir ebenfalls und finanzielle Unabhängigkeit war mir enorm wichtig. Daher hätte ich auch am liebsten dual studiert und von Anfang an Geld verdient, aber damals habe ich nichts Passendes gefunden. Heute kann ich sagen: An den kleinsten Molekülen herumzudoktern, um neues Wissen zu generieren, ist auch kreativ und macht mir Spaß. Und meiner Wohnung sieht man immer noch an, dass ich gerne einrichte, aber das Geld dafür kommt aus der Chemieinformatik.
NAT: Wie sind Sie zu Ihrem Studiengang Computing in Science gekommen?
Ohm: Ich wollte gern in Hamburg bleiben, Naturwissenschaften studieren und fand das Thema Medikamente schon damals spannend. Von Pharmazie und Apothekendiensten riet mir meine Mutter ab – ich war zu dem Zeitpunkt häufig erkältet – ich bin dann auf die Lebensmittelchemie gekommen. Ich habe aber schon nach dem ersten Semester gemerkt, dass mich der Laborteil stresst und irgendwie nervös macht. Ich war echt verzweifelt, weil mir der Rest vom Studium, die Vorlesungen und Übungen viel Spaß gemacht haben. Im zweiten Semester fand das Laborpraktikum jeden Nachmittag statt und brachte mich an eine Grenze. Das Studium abzubrechen, war eine große Befreiung und macht den Unterschied zur Schule: Man kann eine Studienwahl ändern und das ist überhaupt nicht schlimm. Von meiner Schwägerin bekam ich den Tipp zu „Computing in Science“: Theorie bleibt, Informatik kommt hinzu, meinte sie. Das hat mich überzeugt.
NAT: Mathe, Informatik, Bio und Chemie in einem Studiengang – wie schwer war das?
Ohm: Der Matheteil war wirklich hart, aber wir haben unfassbar gut zusammengearbeitet und versucht, jeden durch diesen Studiengang zu bringen, mich eingeschlossen: Ich hatte wirklich ein Semester, wo ich gedacht habe, ich bin zu blöd und ich werde das wahrscheinlich nie verstehen. Aber zwei Freundinnen haben mir das mit einer Engelsgeduld erklärt, bis es irgendwann Klick gemacht hat. Mit ihnen bin ich immer noch befreundet und arbeite noch in dem Job, ich scheine es also verstanden zu haben. Man unterschätzt gern mal in den Naturwissenschaften, wie wichtig das Zwischenmenschliche ist.
NAT: Aber in diesem Fall haben Sie nicht abgebrochen. Was war anders?
Ohm: Der Spaß. In den Chemievorlesungen war ich häufig begeistert, weil ich das so spannend fand. Später habe ich dann bei Durchsicht meiner Schulunterlagen festgestellt, dass ich das alles schon hatte. In der Schule hat man das Gefühl, man muss das machen, weil es im Lehrplan steht. Im Studium lernt man die Inhalte noch mal neu. Und herausfordernder: In Informatik geht es ja darum zu überlegen, wie mache ich das grundlegend selbst, ohne diverse Funktionen in verschiedenen Programmiersprachen zu nutzen – das geht nicht ohne Übung und Logik. Solange man bei mindestens einem Drittel der Module im Studium sagen kann, genau dafür mache ich das, solange ist man richtig.
NAT: Und was war Ihr Aha-Moment, in die Wirkstoffforschung einzusteigen?
Ohm: Bei den Naturwissenschaften ist ja das Schöne, es betrifft uns alle. Wir alle bestehen aus Atomen, Molekülen und chemischen Prozessen – und wenn ein Protein nicht richtig funktioniert, werden wir krank. Das fasziniert mich und wenn die Informatik dabei helfen kann, schneller geeignete Medikamente zu finden und damit grundlegend Krankheiten zu heilen, ist das ein schönes Gefühl. Genau das wollte ich nach dem Studium: Das Gelernte praktisch anwenden, loslegen und in Hamburg bleiben, wo ich mittlerweile verheiratet bin. Das Angebot zur Promotion habe ich daher auch abgelehnt, stattdessen den Professor gebeten, mal bei Evotec für mich vorzufühlen: Wirkstoffforschung ist in Hamburg nicht so reich bestückt, offene Stellen gab es nicht. Das hat er getan, ich habe mich initiativ beworben und es hat gepasst.
NAT: Was machen Sie heute?
Ohm: Ich arbeite seit einem Jahr in der computergestützten Forschung und Entwicklung. Wir nennen das „in silico R&D“, also Research and Development. Wir wollen das Machine Learning nutzen, um die Wirkstoffforschung zu optimieren. Hunderttausend Moleküle auf unterschiedliche Bedingungen zu testen, das ist enorm zeit- und kostenintensiv und es bringt eine Unmenge an Daten hervor. Die wollen wir computerbasiert weiter auswerten, um eine Vorauswahl zu treffen und Vorhersagen zu machen: Wenn wir schon ahnen, dass eine Nudel nicht kleben bleibt, muss man die vielleicht gar nicht mehr im Labor testen. Fünf Jahre habe ich genau für diesen Bereich gearbeitet, jetzt kann ich das Wissen nutzen, um eine neue Abteilung mit aufzubauen, das finde ich megaschön.
NAT: Data Science hat Zukunft. Apropos, was geben Sie den Mädchen mit auf den Weg?
Ohm: Zwei Tipps. Erstens, es ist nicht wichtig, direkt nach der Schule zu wissen, was man mit einem Studiengang genau machen will. Ich beispielsweise könnte auch als IT-Consultant anfangen, stärker im Projektmanagement oder in der Kundenbetreuung arbeiten. Zweitens, selbstbewusst sein und sich etwas zutrauen. Man muss auch beim Berufseinstieg noch nicht alles können, man kann tendenziell alles lernen. So wurde ich im Bewerbungsgespräch gefragt, ob ich schon mit Datenbanken gearbeitet hatte. Ich hatte nur in einem Modul im Studium damit zu tun gehabt, das lag Jahre zurück – das habe ich so ehrlich gesagt und das war kein Problem. Im schlimmsten Fall meldet sich die Firma nicht zurück. Im besten Fall erkennt sie das Potenzial.