
Tief gebohrt haben schon viele. Selten allerdings inmitten der Stadt und noch seltener geben sie CO₂-frei zurück, was sie aus der Erde herausgeholt haben. Genau das geschieht kommendes Jahr 2026 in Wilhelmsburg. Bis dahin wollen die Hamburger Energiewerke die erste Tiefengeothermie-Anlage der Stadt fertigstellen: Das 48 Grad heiße Thermalwasser wird dann aus 1.300 Metern Tiefe gefördert. Die Wärme wird mittels Wärmetauscher entzogen und über eine effiziente Wärmepumpenanlage auf das erforderliche Temperaturniveau des Heizwassers gebracht und auf dieses übertragen. Insgesamt 6.000 Haushalte können rechnerisch so mit klimafreundlicher Wärme versorgt werden. Nachdem die Wärme entzogen wurde, wird das Wasser abgekühlt in einem geschlossenen Kreislauf wieder in die Sandsteinschicht zurückgeleitet. Dort kann es sich durch den heißen Erdkern wieder erwärmen. „Die Erdwärme ist für menschliche Begriffe nahezu unerschöpflich“, erklärt Projektleiter Frank Boehnke das Prinzip. An diesem Vormittag ist der Ingenieur nicht auf Baustellen unterwegs, schaut nicht auf dicke Rohre im schützenden Kunststoffmantel, sondern in die Kamera und auf Bildschirme, wissend, dass am anderen Ende des Streams Jugendliche sitzen, die sich im Oberstufenprofil mit Chemie und Physik, regenerativen Energien und vielleicht sogar Geologie beschäftigen.
Mit nanoporösen Materialien gegen die Dunkelflaute
Auch die Jugendlichen dürfen im Nachgang bohren – der „Match Day Clean Tech“ zum Thema Zukunftsenergie kombiniert Impulsvorträge und Fragerunden, „matcht“ den technisch interessierten Nachwuchs mit Wissenschaft, Ingenieurkunst oder Grundlagenforschung. Etwa in Form der Idee „Nanoschwamm, der Strom erzeugt“: Eine Kochsalzlösung steigt allein durch Verdampfung auf und produziert sowohl kinetische als auch elektrische Energie. Hydrovoltaik ist der Fachbegriff, der mit Hilfe des Hamburger Regens oder Ebbe und Flut das nächste große Ding werden soll – Nano hin oder her. Das glaubt zumindest DESY-Wissenschaftler und TU-Professor Patrick Huber: „Man kann die Systeme optimal in einem geschlossenen Kreislauf nutzen, etwa in einem Rechenzentrum – und das funktioniert auch in einer Dunkelflaute“, sagt er.
Vor der Hacke ist‘s dunkel
Dem Klimawandel begegnen, „Waste to energy“ umsetzen, interdisziplinär arbeiten, all das verbindet den Grundlagenforscher mit dem Team vom Energie-Campus der HAW Hamburg, das den Eröffnungsvortrag zu Fernwärme und Smart Heat Grid gestaltet. Ein nahtloser Übergang zu Frank Boehnke, der den langen Weg von der Standortsuche über die Pilotierung ins Reallabor spannend wie einen Krimi aufbereitet. Schließlich ist die kilometertiefe Arbeit mit einem 900 Tonnen schweren Bohrturm keine kleine und schon gar keine sichere Sache. „Das Bohrgestänge kann schon mal steckenbleiben oder die Abfolge der Gesteinsschichten ist anders als angenommen– man muss flexibel bleiben“, sagt der Leiter Dezentrale Energieversorgung und belegt sogleich, wie und wo: Zur Freude der Geologen war es zwar gelungen in einer Tiefe von drei Kilometern eine wasserführende Sandsteinschicht zu erreichen, nur leider war der Sandstein nicht porös und durchlässig genug, damit keine Förderung von Thermalwasser möglich. Die spannende Gesteinsschicht gab es darüber: In 1,3 Kilometern Tiefe wurde eine Schicht mit 48 Grad heißem Thermalwasser erkundet. Die Sandsteinschicht ist 45 Millionen Jahre alt und war ursprünglich der Strandbereich der „jungen“ Nordsee. „So hatten wir die Möglichkeit, mitteltiefe Geothermie zu erschließen – auch sehr gut“, schließt der Ingenieur.
Alle hundert Meter drei Grad mehr
In einem mehrere Millionen teuren Bauvorhaben umsetzen, was Zukunft hat, das lässt die Jugendlichen aufhorchen. Wie das finanziert wurde, wollen sie wissen. Zum einen über ein Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums, da es sich um ein Forschungsprojekt handele. Vor allem gehe es aber um eine unternehmerische Investition: „Wenn das jetzt so gut klappt, können wir ein Stadtteil ökologisch versorgen. Und wir werden prüfen, ob wir weitere Bohrungen durchführen“, verrät Frank Boehnke. Was das für die Umwelt bedeutet, fragt eine Schülerin. Der Ingenieur verweist auf Expertise aus dem Landesbergamt und der geologischen Wissenschaftler: „Wir haben hier in Norddeutschland lockere Gesteinsserien als Untergrund und daher auch kein Erdbebenrisiko. Auch ist unser Thermalwasser nicht weiter radioaktiv.“ So geht es locker weiter mit vielen technischen, persönlichen, aber auch politischen Fragen. Sieht der Ingenieur die Zukunft des Projektes angesichts der Bundestagswahl gefährdet? Klares Nein: „Das Projekt ist wirtschaftlich, klimafreundlich und Everybody‘s Darling.“
Der Match Day Clean Technologies ist Teil des Projektes Clean Tech inside, einer Maßnahme aus dem Hamburger Klimaplan. Das Projekt wird von der Behörde für Wirtschaft und Innovation gefördert.