Unsichtbares ans Licht bringen
11.03.2025

Unsichtbares ans Licht bringenDESY-Physiker Axel Lindner erforscht Dunkle Materie 

Ein Sicherungskasten kann ein Indikator sein. Sobald die Zahl der Schalter, Kabel und Steuerungselemente unübersichtlich wird, handelt es sich in der Regel um eine komplizierte Anlage. Hamburger Lehrkräfte blicken im Keller von Hera West, einer der Eingänge in den unterirdischen Ringtunnel HERA auf einen riesigen Sicherungsschrank. Das rot-weiße Absperrband drumherum scheint zu signalisieren: Finger weg, Grundlagenforschung! „Niemand kann sagen, was an Anwendungen aus der Grundlagenforschung entstehen kann, weil wir möglicherweise völlig Neues entdecken“, sagt Axel Lindner. Der Teilchenphysiker hat mit seinem Team unterhalb des Volksparkstadions in dem stillgelegten Teilchenbeschleuniger ein Experiment aufgebaut, das sich „Any Light Particle Search“, kurz ALPS nennt. Es besteht aus supraleitenden Magneten, Laserlicht, Spiegeln, Detektoren, fast 6000 Ampere Strom und ist in geheimnisvoller Mission unterwegs: Licht in Dunkle Materie verwandeln.

Mit Experimenten auf der Erde den Kosmos verstehen

Physiker sagen, dass sie den Kosmos ab dem Urknall verstehen. „Es ist alles konsistent“, so Axel Lindner. Sofern man annimmt, dass 95 Prozent aus unbekannte (dunkler) Materie und (dunkler) Energie bestehen: „Ich sehe sie nicht, aber registriere ihre Gravitationskraft, daher kommt der Name.“ Der Wissenschaftler selbst kommt aus der Teilchenphysik und die habe den Anspruch, im Prinzip alles erklären zu können. Ihr Paradigma in früheren Jahren: „Ich muss immer stärkere Beschleuniger bauen, weil die Dunkle Materie vermutlich aus extrem schweren Elementarteilchen besteht.“ Das Ergebnis: In den letzten zwanzig Jahren gab es unglaublich technologische Fortschritte, aber Dunkle Materie wurde nirgends gefunden. Daher besannen sich Wissenschaftler wie Axel Lindner wieder auf die „unsichtbaren Axionen“.

Messen ist besser als glauben - Vera Rubin*

Diese hypothetischen Teilchen sollen extrem leicht, reaktionsarm und dennoch verantwortlich sein für den Zusammenhalt ganzer Milchstraßen, die in Teilen merkwürdige Ausbreitung hochenergetischen Lichts im Universum oder die schnellere Abkühlung bestimmter Sternentypen. „All diese Effekte würde man sofort verstehen, wenn es Axionen gibt“, unterstreicht Axel Lindner seine langjährige Suche danach. Für die Detektion greift sein Team auf die Quantentheorie zurück, nach der alles mit allem verwandt ist. „Wenn es die Axionen gibt, müssen sie sich ab und zu in ein Teilchen verwandeln, das wir neutrales Pi-Meson nennen – daran führt kein Weg vorbei.“ Das ist der Moment, wo Dunkle Materie kurz mal hell wird, weil das neutrale PI-Meson in zwei Photonen zerfällt. Nur: Auf so einen Lichtblitz warten, das kann kein Wissenschaftler. Man bräuchte das Alter des Universums plus 21 Nullen dran. Daher will das komplizierte Experiment aus supraleitenden Magnetfeldern und optischen Lichtspeicher aus Spiegeln mehr Schwung in die Sache bringen. „Damit kommt man auf ein Lichtteilchen pro Tag“, so der Physiker. 

Der größte Spin-Off ist der Nachwuchs 

Im Mai 2023 ist das Experiment gestartet und soll 2027 seine volle Empfindlichkeit erreichen – 20 Jahre nach der ersten Idee. Bis dahin wird das Experiment getestet, justiert, verbessert und begutachtet So viel Begeisterung für die Forschung fasziniert, es wirft aber auch Fragen auf: „Wo ist der Benefit für die Gesellschaft“, möchte Ulrich Schram, Geografielehrer am Friedrich-Ebert-Gymnasium wissen. Axel Lindner nennt drei Aspekte: Erstens entwickelt die Gruppe auf dem Weg zum Axion neue Technologien, die es noch nicht gibt und die das Zeug zur Schlüsseltechnologie haben. Zweitens fallen dabei auch Innovationen ab, wie das Patent auf einen neuartigen Drucksensor, der für die Wasserstoffindustrie entscheidend sein könnte und gerade im „DESY Generator Program“ industrialisiert wird. Drittens bildet die Gruppe Nachwuchs aus. Davon bleibe nur ein kleiner Teil in der Forschung, aber alle hätten gelernt, sich mit „unlösbaren“ Problemen zu befassen. „Dieses Denken ist wertvoll“, unterstreicht Axel Lindner. „Das ist der größte Spin-Off, den wir in die Gesellschaft haben.“ Und rückblickend lässt sich feststellen, dass aus der Grundlagenforschung oft wirklich disruptive neue Technologien entstehen.

Date am DESY

*Messen ist besser als Glauben: Axel Lindner zitiert hier Vera Rubin. Die Messungen der amerikanischen Forscherin weisen zusammen mit ähnlichen Ergebnissen aus Radiomessungen des atomaren Wasserstoffs die stärksten Anzeichen für die Existenz Dunkler Materie in normalen Galaxien auf.  

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