Bereit für die letzten MeterAndreas Oschlies umwirbt den Nachwuchs auf dem #kk22
Es ist wie beim Marathon, die letzten Kilometer sind die schwierigsten. Und für die haben wir noch nicht mal einen Plan, sagt Andreas Oschlies. Der Professor am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung hat an diesem Vormittag den Blick auf die Kieler Förde gegen die Aussicht auf technisch interessierten Hamburger Nachwuchs getauscht: Auf dem Schülerklimakongress an der TUHH spricht er über Ozean-Chemie und wie man sie für die CO2-Speicherung nutzen kann. Schließlich sei das Ziel seit dem Pariser Klimaabkommen klar: Netto-Null-Emissionen, und zwar möglichst schnell. „Das ist naturwissenschaftliches Grundgesetz der Klimaforschung, da führt kein Weg dran vorbei“, betont Oschlies. Viele Staaten und Unternehmen hätten sich die Netto-Null-Ziele schon zu eigen gemacht. Aber man müsse genau schauen, dass sich das niemand schönrechnet: „Das ist dann eure Aufgabe“, wendet sich der Professor an sein Publikum.
Das Matterhorn ins Meer streuen
Es sind Jugendliche, die sich für die Klimaforschung interessieren. Manche sind geschlossen als Oberstufenprofil zum fünften Hamburger Klimakongress gekommen. Andere haben sich in Absprache mit ihrer Schule individuell angemeldet. Die meisten wollen endlich Antworten auf ihre klimabewegten Fragen. Nur: Eine Null-Risiko-Option will auch der Meeresphysiker nicht präsentieren. Wer beispielsweise das Meer mit Seegraswiesen und Salzmarschen aufforstet, unterstütze Küsten- wie Klimaschutz und Biodiversität, müsse sich aber auf die Küstenregionen beschränken, die schon Fischfang oder Industrie nutzten. Wer Säure-Base-Reaktionen im Ozean im großen Stil für die CO2-Speicherung einsetzen will, sollte die Folgen erforschen: „Weltweit wäre das so, als ob man alle fünf Jahre das Matterhorn kleinraspelt und ins Meer kippt“, so Oschlies.
Die Jugend für die Forschung gewinnen
Dennoch ist der Leiter der Forschungseinheit „Biogeochemische Modellierung“ überzeugt, dass der Ozean uns beim Netto-Null-Ziel helfen kann: „Da haben wir viel Fläche und großes Wasservolumen, das über hunderttausend Jahre sowieso alles aufnehmen würde.“ Wie man den Prozess umweltfreundlich beschleunigt und vielleicht noch parallel für die Wasserstoffgewinnung nutzt, ist eine Fragestellung die Oschlies dem Nachwuchs ans Herz legt: „Das empfehle ich allen, die chemisch interessiert sind“, sagt der Professor. Judith vom Heilwig Gymnasium beispielsweise. Dass der Geomar Vortrag echte Wissenschaft und damit offene Fragen aufzeigt, gefällt der Elftklässlerin ebenso wie der Bezug zum Lernstoff: „Wir machen viel organische Chemie, das passt.“ Von Oschlies möchte Judith wissen, warum es nur um ein Endlager und nicht die Nutzung gehe. „Warum kann man den Kohlenstoff aus CO2 nicht recyceln?“, fragt sie.
Die letzten Meter bewerkstelligen
Eine zukunftsweisende Frage, findet der Professor. Noch sei die Kohlenstoffproduktion aus CO2 zu energieintensiv. „Aber das wird sich ändern, wenn wir genug erneuerbare Energien haben“, so Oschlies. Und genügend junge Leute, die mit Köpfchen und Ingenieurwissen heute Anlagen erproben, die übermorgen genehmigt und in 30 Jahren großflächig in Betrieb gehen können. „Engineering to Face Climate Change“, lautete die Botschaft der TU-Vizepräsidentin Kerstin Kuchta bei der Eröffnung des #kk22. Oschlies knüpft daran an und plädiert für ein ingenieurwissenschaftliches Studium. „Wir haben jede Menge Ideen und auch Geld, aber nicht die guten Leute“, sagt er. Von Kiel nach Harburg ist er gekommen, um anspruchsvolle Techniker und Marathonläufer in spe zu gewinnen. Denn die letzten zehn Prozent der Emissionen werden wir nur durch Technik kompensieren können, weiß Oschlies: „Das ist das Härteste – wie beim Marathon.“