16 Jahre lang war der promovierte Historiker Lothar Dittmer für den Vorstand der Körber-Stiftung tätig. Fast genauso lange zählte die Körber-Stiftung zu den Trägern und Treibern der Initiative NAT– viele Jahre unter Dittmers Vorsitz. Zum Jahresende scheidet der Körber-Chef altersbedingt aus dem operativen Geschäft der Stiftung aus, gleichzeitig endet die 15-jährige Trägerschaft der Körber-Stiftung in der Initiative. Mindestens zwei Anlässe also, noch einmal gemeinsam zurück- und vorauszuschauen. Wie bereits 2012 im Gespräch zwischen Lothar Dittmer und NAT-Geschäftsführerin Sabine Fernau unter dem Titel „Das Beste am Norden ist die Physik“. Zwölf Jahre später ist vieles auf den Weg gebracht, die Sorge um ausreichend naturwissenschaftlich-technischen Nachwuchs jedoch geblieben.
Wie blicken Sie auf 15 Jahre Zusammenarbeit zurück?
Sabine Fernau: Dreifach-Booster dank Körber-Stiftung
Wir haben unsere Firma mit sehr viel Enthusiasmus gegründet, aber nicht weiter darüber nachgedacht, wie wir das langfristig finanzieren. Sie waren der erste, der danach fragte und dann die geniale Idee voranbrachte, über die Stiftung als „neutrale Schweiz“ alle Hochschulen für unsere Idee zu gewinnen. Das hat zu einer anderen Wahrnehmung bei Lehrkräften, Eltern und Forschungseinrichtungen geführt, uns ganz viele Türen geöffnet – und wurde unser erster Wachstumsbooster. Der zweite war der gemeinsame erfolgreiche Antrag beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft zu „Nachhaltigen Hochschulstrategien für mehr MINT-Absolventen“ – auch wieder unter Federführung der Körber-Stiftung. Der dritte Punkt ist der Senatsempfang und anschließende Besuch in der Elbphilharmonie zu Ehren von 10 Jahren NAT. Eine Idee, die ohne Ihr Dafürhalten im Kuratorium nicht möglich gewesen wäre. Für all dies und ihr wohlwollende Unterstützung in den letzten Jahren möchte ich Ihnen danken.
Lothar Dittmer: Win-Win in fünfzehn Jahren
Bei uns war es nicht die Physik, es war der Fachkräftemangel, der zum Engagement für die außerschulische MINT-Bildung geführt hat – überraschenderweise überraschend spät für eine unternehmensverbundene Stiftung. Es ist für uns ein Glücksfall gewesen, dass es in Hamburg schon die Initiative NAT gab und wir nicht bei null beginnen mussten. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir Projektideen langfristig vorantreiben – wie bei den 15 Jahren mit NAT. In der Körber-Philosophie ist das die Voraussetzung dafür, dass eine Organisation sich stabil weiterentwickeln und dann auch wieder autonom werden kann. Das Dritte: Für uns ist es eine Art Modellprojekt gewesen, das wir möglichst skalieren wollten. Das machen wir im Rahmen der MINT-Regionen, mittlerweile an 130 Standorten landesweit. Wir sind dort die „Holding“, die „Spinne im Netz“, die für Strukturen, Weiterbildung und Austausch sorgt. Insofern waren auch für uns die 15 Jahre eine Win-Win-Situation.
Wie steht es um die MINT-Bildung aktuell?
Lothar Dittmer: Klimawandel mit MINT-Expertise begegnen
Die Problemlage hat sich verschärft. Ich erlebe seit Jahren auch in der Körber AG, wie schwierig es ist, an Nachwuchskräfte zu kommen. Wir haben nach wie vor eine Schieflage zwischen der Erkenntnis, dass wir viel stärker auf MINT-Kompetenzen setzen müssen, und der gesellschaftlichen Realität, in der sich die Leitbilder immer noch in Richtung Geisteswissenschaften, Medien und Marketing bewegen. Da müssen wir ein Gegengewicht schaffen. Am Beispiel des Klimawandels: Demonstrieren gehen oder Papiere schreiben mag wichtig sein, aber es ändert erst mal nichts. Wir brauchen Menschen, die praktisch daran arbeiten und neue Technologien zum Einsatz bringen. Simpel gefragt: Woher sollen all die neuen Heizungsanlagen kommen, wenn es keine Menschen mehr gibt, die sie entwickeln, produzieren und aufbauen?
Sabine Fernau: MINT aus der Nerd-Ecke geholt
Die Herausforderungen sind andere, die Schülerschaft hat sich verändert und die Konzentrationsfähigkeit abgenommen. Zudem ist der Bedarf breiter geworden. Jetzt benötigen alle Unternehmen Informatiker und Data Scientists, auch Hersteller von Konsumgütern oder Mode. Schließlich der demografische Faktor: Der VDI warnt seit Jahren, dass viele Ingenieure in Rente gehen. Ich sehe aber auch positive Entwicklungen, zumindest in Hamburg: MINT hat die Nerd-Ecke verlassen, ist sichtbarer geworden und längst ein Begriff, den man nicht mehr erklären muss.
Lothar Dittmer: Unser Beitrag zur Utopie
Es gibt einen Bias in der schulischen Bildung: Auch Eltern sagen, die MINT-Fächer sind wichtig, aber sie raten ihren Kindern dann letztlich doch zu anderen Profilfächern. Um jedes naturwissenschaftlich-technische Talent, das am Ende Betriebswirtschaft oder Jura studiert, ist es schade. Und da darf es nicht sein, dass wir Fächer reduzieren, an denen unsere Zukunft hängt – nur weil diese in den Peer Groups nicht so stark im Fokus stehen. Stattdessen müssen wir uns mehr anstrengen, Schulprofile wie Studienplätze in Technik und Naturwissenschaften zu besetzen. Die hin und wieder vorgebrachte Kritik, wir hätten in 15 Jahren MINT-Bildung zu wenig erreicht, kann ich nicht teilen. Das überfordert eine Stiftung ebenso wie eine regionale Initiative. Es handelt sich um ein politisches Langfristziel und wir leisten einen kleinen Beitrag dazu, uns einer Lösung zu nähern.
Wo sehen Sie NAT in zehn Jahren?
Lothar Dittmer: Berufsorientierung besser machen – mit NAT als Agentur
Die Stabilisierungsphase von NAT ist sicherlich vorbei. Jetzt sollte zum einen auf die Segmente geschaut werden, in denen man noch wachsen kann. Das gilt besonders in Hinblick auf Unternehmen, die händeringend junge, technologieinteressierte Menschen suchen.
Zum anderen fände ich es gut, wenn der Schulsektor NAT wie eine Agentur nutzen würde. Die Berufs- und Studienorientierung wäre so ein Feld. Nach wie vor sind die Schulen da weitgehend auf sich gestellt und machen Informationsveranstaltungen, zu der sie Menschen aus ihrem Umfeld einladen. Hier könnte NAT für alle weiterführenden Schule Angebote machen und einmal im Jahr eine Veranstaltung auf die Beine stellen: Schüler und Schülerinnen, die kurz vor dem Abschluss stehen, profitieren dann vom großen Unternehmens- und Hochschulnetzwerk der Initiative und erfahren, wie breit das Spektrum der technischen und naturwissenschaftlichen Möglichkeiten ist. Das setzt natürlich voraus, dass NAT dafür Mittel bekäme, um die Berufsorientierung auf ein qualitativ höherwertiges Niveau heben.
Sabine Fernau: Das Beste am Norden ist der Nachwuchs
Das wäre eine gute Gelegenheit, unsere Überschrift von vor zwölf Jahren aufzugreifen: Das Beste am Norden ist der Nachwuchs - denn mit dieser Idee würden wir auch die Jugendlichen erreichen, die kein MINT-Profil belegen. Es gibt sicher Schüler, die gut in Mathe und Physik sind, sich aber für ein anderes Profil entschieden haben und die allenfalls durch breit angelegte Angebote wie den Klimakongress von uns erfahren. Für uns hieße das: ein NAT-Modul entwickeln, das die Schulen buchen könnten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Behörde daran Interesse hat. Danke für diesen schönen Input: Selbst, wenn Sie gehen, geben Sie uns noch etwas mit!
Lothar Dittmer: In Verbindung bleiben
Es gibt weiterhin Schnittstellen zur Körber-Stiftung, die Sie nutzen können. Etwa über das MINTforum Hamburg und das Schülerforschungszentrum, das wir zukünftig stärker operativ aufstellen wollen – warum nicht auch für eine NAT-Lehrkräfteveranstaltung. Aber auch zu unserem Inkubator-Programm Start-Hub gibt es Berührungspunkte. So will eines der erfolgreichen Start-ups das freiwillige Jahr im Handwerk etablieren – aus meiner Sicht eine Schnittstelle auch zu NAT. Schließlich gibt es ja auch noch Körber Technologies in Bergedorf, wo spannende Zukunftsthemen wie die Batterieproduktion oder auch das Thema Vertical Farming in den Fokus rücken. Auch dort ist man über jede Anregung dankbar, mehr Menschen für MINT-Berufe zu gewinnen.