Eine runde SacheMatch Day rund um Stoffe und Verfahren der Zukunft
Egal, ob Autoreifen, Hautcreme oder Schokolade, am Anfang der Produkte steht immer ein Reaktor, der die Grundstoffe vermischt, erwärmt und damit chemische Reaktionen auslöst. „Alles, was wir lieben und wofür wir leben, durchläuft solche Reaktoren“, sagt Verfahrenstechniker Michael Schlüter und hält ein Brillenetui, eine Smartphonehülle und Taschentücher in Plastik verpackt in die Kamera. Gegenstände, die in Reichweite des Professors liegen – und die noch überwiegend aus fossilen Rohstoffen, ja Erdöl bestehen. „Und da müssen wir natürlich von weg, wie ihr alle wisst“, wendet sich Schlüter an sein Auditorium. Es sind an diesem Vormittag Jugendliche aus MINT-Oberstufenprofilen und natürlich wissen sie, dass die Zukunft den nachwachsenden Rohstoffen gehört. Dass aber deren schwankende Qualität durch Unterschiede in Düngung oder Klima die Stoffumwandlung herausfordert und eine neue Generation intelligenter, flexibel und autonom arbeitender, kurz smarter Reaktoren benötigt, wirft viele Fragen auf.
Vom Kompost zur Kopfschmerztablette
So möchten die Jugendlichen wissen, wann die Roboter-Reaktoren auf den Markt kommen. Aber da kann der Sprecher des TUHH-Sonderforschungsbereiches „SMARTe Reaktoren für die Verfahrenstechnik der Zukunft“ noch kein Datum nennen, es gehe um Grundlagenforschung. „Wir fangen in kleinen Schritten und interdisziplinär an“, sagt er und verweist auf Elektrotechnik, Werkstoffwissenschaft und Biotechnologie, die bei Sensorik, Antrieb und Materialien Hand in Hand arbeiten. „Wir brauchen ganz viele tolle Leute, die das vorantreiben wollen“, wendet sich Schlüter an den Nachwuchs. Einblicke in aktuelle Forschungsvorhaben geben, Berufsorientierung und Austausch bieten – das Format „Match Day“ schlägt viele Fliegen mit einer Klappe. Was Oberstufenschülerinnen und -schüler gerade bei Nachwuchswissenschaftlern interessiert, ist die aus ihrer Sicht schwierige Entscheidung für einen Fachbereich. Auch Tim Beermann wird gefragt, wie er zum Doktor der Chemie wurde.
Vom Praktikum zur Promotion
Schuld war die Praxis, genauer ein Pflichtpraktikum in Chemie, das Beermann zu Beginn seines Studiums der Verfahrenstechnik absolvieren musste und das besonders spannend gewesen sei, so der 31jährige. Anfang 2023 hat er seine Promotion abgeschlossen, eine tolle Zeit sei das gewesen. „Man wird nur rauskriegen, was das Richtige für einen ist, wenn man es mal versucht“, plädiert der Chemiker für mehr Mut bei der Berufswahl. Inzwischen arbeitet er beim „Weltmeister für Gummiadditive“, der Schill + Seilacher „Struktol“ GmbH und forscht daran, Autoreifen nachhaltiger zu machen. Wie viele Schichten bei einem Gummireifen übereinander liegen und wie komplex das Herstellungsrezept ist, erfahren die Jugendlichen in seinem Vortrag. „Wir wollen die Gummiherstellung effizienter machen und den Rezyklat-Anteil in unseren Produkten erhöhen“, sagt Beermann.
Vom Jupiter zur Jugend
Recycling ist der rote Faden an diesem Match Day. Schon der Impulsvortrag von Professorin Kerstin Kuchta zeigt Probleme und Lösungen in der Kreislaufwirtschaft auf. Dabei beweist die Vizepräsidentin der TUHH selbst die Flexibilität, die nicht nur neue Reaktoren dringend benötigen: Eigentlich ist sie gerade „out of space“ und soll auf dem Pop-up-Campus Jupiter in der Mönckebergstraße Nachhaltigkeitsthemen vorantreiben. Kurzerhand springt sie beim Match Day für erkrankte Referenten ein. Mit einem Vortrag von Chemiker Jörn Karl schließt sich der Kreis: Der promovierte Manager forscht bei Shell zu Kraftstoffen aus nachhaltigen Komponenten. Kein Tank-Teller-Konflikt, nach dem die Schüler schon Michael Schlüter gefragt hatten: Aus Grünresten, Stroh, Holz oder sogar Nahrungsmittelabfällen neue Energie gewinnen – eine runde Sache.
Einige der Sessions sind auch auf YouTube verfügbar:
Chemisches Recycling, Prof. Kerstin Kuchta, TUHH: https://youtu.be/hEoDqsRd79w?feature=shared
Smarte Reaktoren für die Zukunft, Prof. Michael Schlüter, TUHH: https://youtu.be/NpPZCOIZGOg?feature=shared